Anni Güntepe aus dem Kinderkram ist stadtbekannt und bedarf eigentlich keiner großen Intro. Ihren Namen setzen wir Trierer*innen gleich mit Second Hand Mode und einem kinderfreundlichen Trier, für das sie sich auf ihrem reichweitenstarken Social Media Kanal, aber natürlich auch im Real Life, stark macht.
Wir treffen Anni und führen ein sehr ehrliches Gespräch: Wir sprechen über das hiesige junge und sehr hoffnungsvolle Unternehmertum, ein kinderfreundliches Trier und was wir konkret machen können, die City insgesamt kinderfreundlicher zu gestalten. Eine kritische Liebeserklärung an Trier und (Vorsicht Spoiler!) ein großes Announcement!
Wo kommst du her und wo bist du aufgewachsen?
Ich bin Triererin mit Herz und Seele, sage ich immer so schön. Meine Geburtsstadt ist Trier, und ich bin im Konzer Tälchen aufgewachsen – das ist ja auch nur einen Katzensprung entfernt. Meine Schulzeit habe ich in Konz verbracht und dort auch mein Abitur gemacht. Aber irgendwie hat es mich nie aus Trier fortgezogen. Ich habe immer gesagt: wenn alle anderen von hier weggehen, muss ja irgendjemand bleiben. Sonst wohnt hier ja niemand mehr. Also habe ich die anderen mal machen lassen und bin hier geblieben. (Anni lacht.)
Was hast du nach dem Abi gemacht?
Nach dem Abi habe ich mich erst einmal für eine Ausbildung als Kauffrau für Versicherungen und Finanzen entschieden. Die Idee war, etwas Solides zu machen, um etwas Handfestes in der Tasche zu haben, womit man möglicherweise Geld verdienen könnte. Ein Studium war zu Beginn nicht mein Ding, ich wollte lieber Geld verdienen, mit dem Blick in Richtung Luxemburg, wo es vielleicht gute Möglichkeiten gab. Und tatsächlich hat das gut geklappt und ich bin nach Luxemburg gegangen, wo ich acht Jahre lang für einen Konzern gearbeitet habe. In dieser Zeit habe ich berufsbegleitend meinen Fachwirt für Versicherungen und Finanzen absolviert und parallel begonnen, Betriebswirtschaftslehre zu studieren.
Hattest du nicht manchmal das Bedürfnis, Trier für eine Weile zu verlassen?
Ja, ich habe schon manchmal darüber nachgedacht, ich müsste mal hier weg. Aber es hat sich nie ergeben. Ich bin wirklich ein wahnsinnig sozialer Mensch. Ich war seit meinem 16. Lebensjahr auch irgendwie immer in Beziehungen – keine Ahnung, wie das passiert ist. Aber das war immer auch ein Grund, warum ich zwar gerne verreist bin, mich aber immer wieder gefreut habe, zurückzukommen. Ich habe hier ein starkes soziales Netzwerk und großartige Freunde, und ich habe immer gedacht, sie würden mir fehlen. Heute, wenn ich zurückblicke, so mit 37 Jahren, denke ich, vielleicht hätte ich es einfach tun sollen. Manchmal kommt es mir vor, als ob ich hier ein bisschen auf der Stelle trete. Vielleicht könnte ich mein Konzept einfach mitnehmen.
Wohin würdest du gehen?
Richtung Benelux sehr wahrscheinlich. Ein Teil meiner Familie kommt ja aus Belgien. Mein Bruder lebt in Maastricht. Ich würde auf jeden Fall in Europa bleiben wollen.
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, würde es aber letztendlich nie umsetzen! Allein schon wegen der Trennungssituation mit Jale. Sie hat ja auch ihren Papa hier, und ich würde sie niemals von ihm wegnehmen.
Wie bist du auf die Idee gekommen einen Kinder-Second-Hand in Trier zu eröffnen?
Second Hand mochte ich immer schon gerne. Ich bin so eine richtige “Flohmarkt-Uschi”. Entspannt mich total. Und dann dachte ich mir, in Trier fehlt etwas. Nachdem ich lange in Luxemburg gearbeitet hatte, wurde ich schwanger und hatte keine Möglichkeit, meine vorherige Position in Teilzeit zurückzubekommen. Also habe ich mir überlegt, was ich tun könnte. Nach einer Einigung mit meinem früheren Arbeitgeber habe ich den Laden eröffnet. Ich wollte aus dem Bauchgefühl und dem Herzen heraus einen Ort schaffen, den ich vermisst habe. Besonders als junge Mutter fühlt man sich oft überfordert und sucht nach einem geschützten Raum. Ich hatte damals in Kürenz, wo ich wohne, so einen Raum, in dem ich mich sicher und geborgen gefühlt habe. Ich wollte genau so einen Ort schaffen, der Familien in Trier fehlte, einen Ort, an dem sie sich geborgen fühlen können.
Und welcher Raum war das damals bei dir?
“Natürlich Familie”. Ich hatte krasse Wochenbett-Depressionen und habe mir über „Natürlich Familie“ ein bisschen Freiheit zurück erkämpft. Und das war total gut. Ich konnte dort stillen und dachte immer, wenn Jale jetzt weint, kann mir hier nichts passieren.
Und so einen Raum haben wir nun auch in der Innenstadt geschaffen. Wenn eine Mutter mit schreiendem Kind reinkommt, dann sagen wir erst mal: “Alles cool. Geht’s dir gut? Entspanne dich erst mal, zieh den Pulli aus, komm mal an. Du kannst hier wickeln, stillen, füttern, whatever. Und wenn ein Kind schreit, dann ist es so. Und wenn du Fragen hast, frag uns. Wir sind geballte Mompower hier.”
Wie hast du es geschafft, deinen Traum von einem Second Hand (auf so einer großen Fläche) umzusetzen? Gerade wenn du eine Wochenbett-Depression hattest? Wie hattest du den Drive sowas zu stemmen und zu wuppen?
Jale war neun Monate alt, als ich das Gewerbe mit meinem Mann angemeldet habe, da waren die Depressionen vorbei. Mein Lebensmotto ist: “Nicht Quatschen, sondern machen!” Wenn ich eine Idee habe, bin ich sehr schnell Feuer und Flamme. Als ADHSlerin im Endstadium bin ich sehr begeisterungsfähig. (Anni lacht.) Und wenn ich mich auf eine Sache mal richtig eingeschossen habe, dann ziehe ich sie auch durch.
Jetzt hast du mit „CHICI MICI- Designer Second Hand“ noch eine weitere Second Hand Sparte mit Luxusprodukten geschaffen – wie kam es dazu?
Das ist auch ein Thema, das ich schon lange im Kopf hatte und jetzt dachte, dass der Zeitpunkt einfach richtig ist. Gerade in der Luxusbranche entwickeln sich die Preise exponentiell nach oben. Preissteigerungen sind dort enorm, und es gibt definitiv einen Markt dafür. In unserem Umkreis gibt es niemanden, der das auf diesem Niveau und mit diesen Artikeln anbietet. Ich selbst habe früher eine Leidenschaft für solche Artikel gehabt, sehe den Markt und erkenne den Bedarf. Nach den ersten Wochen kann ich definitiv sagen: Ja, der Bedarf ist da, und deshalb möchte ich das gerne vorantreiben. Ich habe lange darüber nachgedacht und biete es zunächst in einer Testbubble Shop-in-Shop im Laden an.
Hast du einen konkreten Tipp für Trierer*innen, die einen ähnlichen Traum leben wie du? Was würdest du ihnen raten?
“Nicht quatschen! Machen!” Das ist schon immer mein Motto bei allem. Natürlich sollte man sich überlegen, vor allem als Mutter. Einen Laden zu führen ist schon eine Herausforderung. Aber man darf sich die Motivation nicht nehmen lassen.
Was ich wahnsinnig schwierig finde, besonders in Trier, sind die vielen Hürden, die einem in den Weg gelegt werden. Hohe Mieten, übermäßige Bürokratie – das alles ist eine Herausforderung. Es ist nicht leicht herauszufinden, wer bei der Stadt Trier wofür zuständig ist und wer wirklich dein Ansprechpartner ist. Ganz ehrlich, auch da aufhören zu fragen: Wer viele Fragen stellt, bekommt viele Antworten. Und so kommt man nicht weiter.
Zudem sollte man sich mit Leuten austauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Austausch ist da extrem wichtig. Ich habe bereits einige Kolleg*innen mit Rat und Tat unterstützt, wie Rebekka von “Liebe auf den 2ten Blick”, die vor der Ladenöffnung zu mir kam und fragte, wie ich das gemacht habe. Austausch ist meiner Meinung nach entscheidend und trägt zur Entwicklung unserer Stadt bei. Aber es ist insgesamt ernüchternd, das kann ich nach vier Jahren wirklich sagen.
Mein persönliches Lieblingsthema: Stichwort Austausch mit anderen Unternehmer*innen. Was kannst du dazu sagen?
Ich bin sehr offen und sehr gut vernetzt. Ich habe viele Freunde, vor allem unter jungen Unternehmern. Wir sind wirklich offen zueinander und teilen unser Wissen. Das ist eine neue Generation von Unternehmern, wie du sicherlich weißt. Zum Beispiel bin ich gut mit Ali vom Herrlich Ehrlich befreundet. Auch Alex Konrad, der sogar etwas jünger ist als ich, Dennis vom Daddy’s, Susanne und Flo vom kleinen Buchfink oder Dani von NNI Studio – sie alle gehören zu dieser Unternehmergeneration dazu und sind unglaublich toll.
Wir sind eine Generation von Menschen, die versuchen, die Stadt neu zu gestalten. Das schätze ich sehr. Und ich finde, wir sollten diesen Enthusiasmus nicht verlieren. Es sollten noch mehr Leute dazukommen. Die Liste ist lang und es gibt viele von uns, die in einem ähnlichen Alter sind. Die Stadt sollte sich wirklich lockerer machen.
Du engagierst dich für ein kinderfreundliches Trier. Was muss verbessert werden? Was würdest du dir von der Stadt wünschen bzw. was kann die Stadt tun, um kinderfreundlicher zu werden?
Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht. Trier hat ein enormes Potenzial, das nicht genutzt wird. Die Lage ist großartig. Wir haben den Fluss, die Weinberge – wir sind im Herzen von allem. Es gibt viele Möglichkeiten für Unternehmungen mit Kindern. Die Innenstadt ist kompakt, alles ist nah beieinander. Wenn wir es schaffen könnten, die kulturelle Identität der Stadt mit kinderfreundlichen Angeboten zu verbinden, könnten wir viel erreichen. Aber wie verbindet man die kulturellen Schätze Triers mit kinderfreundlichen Elementen? Ein Beispiel: Statt nur historischer Gebäude könnten wir auch auf dem Weg eine Schnitzeljagd für Kinder haben. Warum nicht ein eingelassenes Trampolin im Boden oder eine Schaukel am Kornmarkt? Natürlich mit Sicherheitsvorkehrungen wie Matten darunter. Diese Ideen könnten die Attraktivität für Familien steigern.
Ich habe einige Ideen entwickelt, um die Lebensqualität zu erhöhen. Die Zusammenarbeit zwischen Einzelhandel, Gastronomie und Kindern muss verbessert werden. Wenn ich in andere Städte fahre, suche ich Restaurants mit Spielmöglichkeiten. Warum sollte das nicht auch hier möglich sein? Warum hat bei dem millionenschweren Projekt in Zurlauben niemand daran gedacht, neben den wunderschönen Sitzgelegenheiten eine Rutsche zu installieren? Während Mama und Papa essen, können die Kinder rutschen, danach wieder die Hügel hochklettern, erneut rutschen und herumlaufen. Wenn sie dann müde sind und Hunger haben – perfekt. Es sind oft die kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Aber Trier scheint manchmal mit Scheuklappen unterwegs zu sein.
Trier hat so viel Potenzial. Wenn wir an den richtigen Stellen anpacken, können wir viel bewegen. Warum schaffen wir es nicht, Trier zu einem Gesamterlebnis für die ganze Familie zu machen? Das ist es, was ich mit meinem Laden versuche. Ein Erlebnis für alle zu schaffen. Die Kinder können vor der Tür mit Kreide malen oder in der Spielecke spielen, sich ausruhen und etwas trinken. Ein Elternteil kann sich hinsetzen und sein Handy checken, während der*die andere in Ruhe shoppen kann.
Ich habe noch viele Ideen, wie man diese Kombination auch im öffentlichen Raum umsetzen könnte. Wir müssen einfach lockerer werden. Die Stadt muss grüner, lebendiger und jünger werden. Eine Stadt für alle.
Was sind deine nächsten Pläne, um diese Ziele zu verfolgen?
Loslegen! Ich habe mich entschieden, für die SPD für die Stadtratswahl 2024 zu kandidieren. Denn ich glaube, dass man nur mit Mut zur Veränderung und Engagement etwas bewegen kann. Ich finde, Trier ist bereits auf einem guten Weg, aber es muss noch mehr passieren. Das ist meine Motivation für den Stadtrat zu kandidieren und die Werte und Ziele der Trierer SPD passen zu mir.
Was können wir, also die Trierer*innen, tun, um die City zu unterstützen?
Nun, wir können weiterhin hier einkaufen und damit die Innenstadt lebendig halten. Lasst uns die Geschäfte unterstützen, die wirklich bemüht sind. Geht einkaufen, kommt in die Stadt. Am besten mit dem Fahrrad, denn Parkhäuser sind oft voll. Alternativ könnt ihr auch die Öffis nutzen. Unterstützt diese Generation von Unternehmern, die gerade dabei sind, etwas aufzubauen. Denn ohne die Kunden würden weder Ali noch ich noch irgendjemand sonst Erfolg haben. Also lasst uns gemeinsam etwas bewegen!
Und nicht vergessen: Engagement fängt im Kleinen an, auch in Kombination mit den Jüngsten. Das Mosel Clean Up für die ganze Familie ist hier ein schönes Beispiel. Oder einfach der Kauf von Second Hand Ware. Wenn wir bereits unseren Kindern beibringen, dass wir alle unseren Teil dazu beitragen, unsere Welt zu schützen und Dinge weiterentwickeln, ist das ein großer Schritt. In den Stadtteilen passiert ja auch viel durch ehrenamtliches Engagement. Ob Feste, autofreie Spielstraßen oder Einsatz im Verein. Oder man geht auf politische Entscheidungsträger zu und bringt dort seine Ideen ein.
Warum Trier?
Ich liebe es, dass ich mich hier so zu Hause fühle und so gut vernetzt bin. Das ist das Schöne an Trier: Auch wenn die bürokratischen Prozesse manchmal langsam sind, gibt es doch eine schnelle Vernetzung und Unterstützung untereinander. Zudem mag ich die Lage von Trier. Ich finde, die Stadt ist super schön. Die Größe ist perfekt. Alles in allem bin ich wirklich gerne hier. Trier ist meine Heimat.
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