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bühne1 – Freies Künstler*innenkollektiv aus Trier bringt frischen Wind in die alte Römerstadt

Das freie Künstler*innenkollektiv “bühne1” in Trier ist weit mehr als ein Theaterverein – es ist ein kreativer Ort für junge Kulturschaffende, die mit experimentellen und hochprofessionellen Theaterproduktionen frischen Wind in unsere alte Römerstadt bringen. Seit der ersten Stunde dabei und stellvertretend für 51 Vereinsmitglieder im Gespräch: Mihails „Micha“ Gubenko, Till Thurner und Sarah Riefer. Sie verraten, warum Theater in Trier so wichtig ist, wie sie unkonventionelle Bühnenräume nutzen und was sie antreibt, trotz vieler Herausforderungen immer weiter zu machen. Vorhang auf für bühne1!

Hi! Könnt ihr euch kurz vorstellen? Wer seid ihr, woher kommt ihr, und in welchem Stadtteil von Trier lebt ihr aktuell?

Mihails “Micha” Gubenko: Hallo, ich komme ursprünglich aus Riga in Lettland und wohne aktuell in der Nähe der Kaiserthermen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das schon zu Trier-Ost oder Mitte-Gartenfeld zählt, aber ich fühle mich definitiv nach Mitte zugehörig.

Sarah Riefer: Ich bin für mein Studium aus dem Saarland nach Trier gezogen und wohne derzeit in Trier-Mitte.

Till Thurner: Ich komme ursprünglich aus der Nähe von Stuttgart, wohne aber seit Beginn meines Studiums im Jahr 2013 – mit einer kurzen Unterbrechung – durchgehend in Trier-Nord. Die Stadt ist mir in dieser Zeit sehr ans Herz gewachsen.

“Hedda” Team der bühne1 | Credits: Sarah Riefer

Ihr seid aktive Mitglieder der bühne1. Was genau ist das und was macht das Projekt so besonders?

Till: Wir sind ein Theaterverein aus Trier. Wir setzen etwa alle zwei Jahre professionelle Theaterproduktionen um. Als wir noch eigene Räumlichkeiten hatten, haben wir aber auch andere Kulturveranstaltungen angeboten, wie Workshops oder kleine Konzerte.

Micha: Die bühne1 hat natürlich viel mehr Gesichter und Köpfe als wir drei, aber die große Gemeinsamkeit war es schon immer, dass wir alle Lust auf junge, unverstaubte Kultur in Trier haben. Unser Schwerpunkt liegt im Produzieren von Theaterinszenierungen in verschiedenen, oft unerwarteten Räumen, die wir spannend finden und die sonst fürs Theatermachen nicht immer zugänglich sind.

Wie lange seid ihr schon aktiv und was begeistert euch an eurer ehrenamtlichen Arbeit für dieses Projekt?

Micha:  Ich bin seit der Geburtsstunde dabei – also seit August 2008. Was mich am Theatermachen inspiriert, ist, bewegende Geschichten zu erzählen und Menschen mit diesen Geschichten zu berühren. Von einem gelungenen Theaterabend erhoffe ich mir, dass das Publikum etwas Besonderes erlebt und mit nach Hause nimmt – einen Gedanken oder ein Gefühl, das in ihm etwas auslöst. Zu sehen, wie Theater das schaffen kann, motiviert mich und treibt mich immer wieder an.

Till: Ich bin seit 2014 dabei – also seit zehn Jahren! Damals stand ich zum ersten Mal auf der Bühne in Trier. Zu der Zeit waren wir noch ein Kollektiv, das auf der Studiobühne des Theaters arbeitete. Eine bunt zusammengewürfelte Truppe, und jeder spielte mehrere Rollen. Bis zu den Hauptproben hatte ich keine Ahnung, was wir eigentlich machen – aber ich habe mich darauf eingelassen, und am Ende ist ein wunderbares Stück herausgekommen. Seitdem bin ich dem Projekt treu geblieben.

Sarah: Seit Herbst 2016 bin ich dabei. Kulturarbeit ist überall wichtig, aber gerade in Trier ist sie stark auf das Ehrenamt angewiesen. Rheinland-Pfalz gibt pro Kopf am wenigsten Geld für Kultur in Deutschland aus. Wer also junge, studentische Kultur will, muss sie selbst auf die Beine stellen. In den letzten Jahren konnten wir neue Räume für das Theater erschließen, wie den Keller des Karstadt, und haben Künstler*innen aus ganz Deutschland nach Trier geholt. Natürlich gibt es bei jedem Projekt Momente, in denen man sich fragt, warum man das in seiner Freizeit macht – aber am Ende überwiegt der Stolz, wenn das Stück auf der Bühne steht.

Seid ihr alle noch Studierende, oder sind einige von euch bereits berufstätig? Und was machen eure Mitglieder hauptberuflich?

Till: Früher waren wir fast ausschließlich Studierende. Anders wäre es kaum möglich gewesen, sich monatelang für eine Produktion Zeit zu nehmen – von der Beantragung über die Treffen zur Abstimmung bis zu den Proben. Das hat unglaublich viel Zeit gefressen und ging nur, weil wir unser Studium dafür hintenangestellt haben. Über die Jahre sind wir alle älter geworden und viele von uns arbeiten mittlerweile. Wir sind dadurch reifer, routinierter und erfahrener geworden, aber uns fehlt oft die Zeit, das alles nebenher zu stemmen.

Braucht Trier neben dem Theater Trier überhaupt noch ein weiteres Theater? Was unterscheidet eure Produktionen von kommerziellen Theaterproduktionen? Und wie kam damals die Idee das Projekt zu gründen?

Micha: Damals stand der Gedanke im Vordergrund, jungen Menschen – insbesondere Studierenden – den Zugang zum Theater zu erleichtern. Um 2008 zog das Stadttheater vor allem älteres Publikum an und bot ein eher klassisches Repertoire. Wir wollten ein Angebot schaffen, das gezielt junge Erwachsene fürs Theater begeistert. Rund die Hälfte unserer Gäste sind Studierende und Menschen zwischen 18 und 25 Jahren.

Zum Unterschied zu kommerziellen Produktionen kann ich nur sagen: Kommerzielle Theaterproduktionen bedeuten, dass man Gewinn erwirtschaften muss. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, weshalb unsere Produktionen finanziell immer auf null hinauslaufen – Ausgaben und Einnahmen müssen sich ausgleichen.

Till: Kommerzielle Theaterproduktionen gibt es praktisch nicht, denn Theater ist fast immer ein Verlustgeschäft. Der eigentliche Unterschied besteht zwischen der freien Szene und der Institution Theater. Letztere hat ein festes Haus, fest angestellte Mitarbeiter*innen und eine feste Finanzierung. Dadurch ist sie in ihren Strukturen ausdifferenziert, aber auch starr, mit einem durchgehenden Programm.

Die freie Szene hingegen ist chronisch unterfinanziert und lebt oft von Selbstausbeutung. Doch gerade diese Freiheit – mit all ihren Vor- und Nachteilen – ermöglicht es, viel auszuprobieren. Die Lust am Experimentieren und Spielen steht oft im Vordergrund, statt nur ein gewohntes Publikum zu bedienen. Dadurch bringt die freie Szene oft frische Impulse, die später in den großen Institutionen übernommen werden.

In Trier braucht es die freie Szene unbedingt, um ein junges Publikum zu erreichen.

Wie finanziert ihr eure Arbeit?

Till: Neben den Einnahmen aus Ticketverkäufen finanzieren wir uns vor allem durch öffentliche Gelder vom Land, der Stadt und manchmal auch vom Bund sowie durch kleinere Stiftungen. Allerdings ist es eine mühsame Aufgabe, diese Gelder zu beantragen und abzurechnen. Es ist immer mit viel Unsicherheit und Risiko verbunden.

Was macht eure Theaterproduktionen für das Publikum so besonders und einzigartig?

Micha: Ich hoffe, dass die Menschen, die unsere Vorstellungen besuchen, berührende Theaterabende erleben und darin nie enttäuscht werden. Ich glaube, unsere Ästhetik und unsere Art, Geschichten zu erzählen, sprechen viele Menschen in Trier an – vor allem solche, die sich anderswo oft „nicht abgeholt“ fühlen.

Till: Unser Ziel ist es, kein moralisierendes Theater zu machen, bei dem das Publikum mit einem „Genau so ist es!“ herausgeht und sich nur selbst bestätigt. Stattdessen versuchen wir, den Zugang über Ästhetik zu schaffen, was uns oft auch für Menschen zugänglich macht, die sonst wenig mit Theater anfangen können. Neben modernen Texten legen wir großen Wert auf gute Beleuchtung und (Live-)Musik – diese Elemente sind essenziell für unsere Produktionen.

Sarah: Auch wenn wir professionelles Theater machen wollen, ist es für uns kein „Job“ im klassischen Sinne. Die meisten von uns haben tagsüber ganz andere Aufgaben – sei es im Studium oder im Beruf. Wir laden unsere Freundeskreise ein, sprechen Arbeitskollegen an, kleben Plakate und verteilen Flyer. Ich glaube, unser Publikum spürt, dass das, was sie auf der Bühne sehen, mehr als nur Arbeit ist: Jeder – vom Schauspieler bis zur Kassenschicht – steht mit vollem Einsatz hinter dem Projekt.

Was macht eure Theaterproduktionen für euch als Team so besonders und einzigartig?

Till: Die Aufführungen sind buchstäblich nur die Spitze des Eisbergs. Der Großteil der Theaterarbeit bleibt für viele unsichtbar. Besonders ist für mich, mit so vielen unterschiedlichen Menschen an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten. Im Gegensatz zu einem großen Theaterhaus, wo jede Abteilung für sich arbeitet, ist bei uns alles eng und nah. Das führt zwangsläufig zu Konflikten – ich habe noch keine Produktion erlebt, in der es nicht auch mal hoch herging. Aber Theater ist eine soziale Kunst, die von Kommunikation, Kompromissen und manchmal auch Krisen lebt. Und am Ende liegen sich alle glücklich in den Armen, wenn wir es geschafft haben.

Sarah: Unsere Arbeit verläuft oft in Wellen – sei es der Arbeitsaufwand innerhalb eines Stücks oder die Organisation im Verein. Mit jedem Projekt kommen und gehen Menschen: Manche sind nur für ein Projekt dabei, andere sind fast eine feste Institution, und manche pausieren, weil es zeitlich nicht passt. Obwohl wir ein eingespieltes Team sind, gibt es immer genug Raum für neue Menschen, die frischen Input und kreative Ideen mitbringen. Dieses Zusammenspiel aus Vertrautem und Neuem, bei dem Fremde oft zu Freunden werden, macht die Arbeit für mich so besonders.

Warum ist Trier genau der richtige Ort für euer Projekt?

Sarah: Wir machen junges, studentisches Theater, aber mit einem professionellen Anspruch. Durch die Universität und die Hochschule gibt es viele junge Menschen, die sich künstlerisch ausprobieren wollen. Gleichzeitig wünschen sich viele ein alternatives, modernes und niedrigschwelliges Kulturangebot – und genau das möchten wir bieten. Keiner von uns ist ursprünglich nach Trier gekommen, um Theater zu machen, aber ich glaube, dass viele von uns deswegen geblieben sind. Trier braucht ein junges, studentisches Theater, und deshalb ist es der perfekte Ort für uns.

Mihails Gubenko, Till Thurner und Sarah Riefer von bühne1 im Gespräch | Credits: Beatrice Linzmeier

Was macht unsere Region für euch so lebens- und liebenswert?

Micha: Vor allem die Wertschätzung unseres Publikums, durch die unsere Produktionen zu einer festen Größe in der freien Kulturszene Triers geworden sind. Es ist unglaublich schön zu sehen, wie gut unsere Inszenierungen ankommen – das macht uns Mut, weiter Theater zu machen!

Till: Trier war schon immer eine Stadt, in der ich unglaublich viel Selbstwirksamkeit erfahren konnte. In einer richtigen Großstadt gibt es alles schon tausendmal, was toll ist, wenn man etwas erleben will. Aber für jemanden, der selbst etwas machen will, ist es toll, wenn man überall Lücken und Möglichkeiten findet, die man für sich nutzen kann.

Sarah: Mir gefallen besonders die vielen kulturellen Einflüsse. Als Saarländerin kenne ich den französischen Einfluss, aber auch die Nähe zu Luxemburg und Belgien ist für mich ein klarer Pluspunkt. Und natürlich ist unsere Region wunderschön – jedes Mal, wenn ich ein paar Tage weg bin, merke ich wieder, wie malerisch Trier, die Mosel und die Weinberge sind.

Gibt es etwas, das euch besonders am Herzen liegt und das ihr mit uns teilen möchtet? 

Micha: Ein kleiner Hinweis, nicht ganz ohne Eigennutz: Man kann auch Mitglied bei uns werden. Wir sind als eingetragener Verein organisiert und freuen uns über jede Form von Unterstützung. Beitreten kann man übrigens ganz unkompliziert und papierlos über unsere Website.

Sarah:
Kultur braucht Raum – und wir brauchen einen Raum!

Weitere Infos über bühne1:

Vorstellungen: 21.01.2025 | 23.01.2025 Jeweils ab 19.30 Uhr in der Tufa Trier. Tickets gibt es bei Ticket Regional.

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