Kevin stammt ursprünglich aus Hermeskeil. Seit 14 Jahren lebt und arbeitet er als freier Autor in Berlin und schreibt Prosa, Lyrik und Essays.
Im Interview erzählt er uns von Latte Macchiato im Café Lübke, Kindheitserinnerungen aus dem Garten seiner Oma und dass es als queere Person in Trier in den 00er Jahren echt nicht einfach für ihn war.
Danke Kevin, für deine krass schönen Worte. Ein verdammt ehrliches und irgendwie verletzliches Interview, dass ich euch allen ans Herz legen möchte ♡
Wo bist du aufgewachsen?
Aufgewachsen bin ich in Hermeskeil, circa eine halbe Autostunde von Trier weg in den Hunsrück rein. Da habe ich auch die ganze Zeit gelebt, bin also zum Abi zwischen Hermeskeil und Trier gependelt. Nach dem Abi bin ich dann für ein Jahr nach Trier gezogen. Erst in Trier-Nord, dann später in die Thebäerstraße.
Von Hermeskeil aus war Trier immer die große Stadt: Da gab es Geschäfte, es gab einen McDonalds und es war voller Menschen. Ich erinnere mich noch an das Wort „Mantelsonntag“, wahrscheinlich krieg ich die Erklärung nicht mehr ganz auf die Kette, aber das ist der verkaufsoffene Sonntag irgendwann im Winter, wenn angeblich die ganzen Leute aus der Umgebung in die Trierer Fußgängerzone einfallen, um sich einen Mantel zu kaufen. Das hat Onlineshopping wahrscheinlich getilgt, aber ist so eine Erinnerung an Trier als Zentrum in der Region.
Hermeskeil selbst war dagegen mehr wie ein größeres Dorf. In der Generation meiner Großeltern kannten sich noch alle – gefühlt hat das bei uns ein bisschen aufgehört, aber das kann auch nur mein Eindruck sein. Trier hat für mich, aber als Bezugspunkt eine große Rolle gespielt, weil nach Trier fahren, das hieß rauskommen. In Trier war ich zum ersten Mal feiern, war auf Konzerten oder hab elektronische Musik gehört.
Wo warst du in Trier unterwegs?
Das war späte 00er-Jahre, eigentlich eine coole Zeit in Trier. Wir hingen damals viel im Café Lübke herum, das in einem ehemaligen Fitnessstudio war, wenn ich mich richtig erinnere. Wahrscheinlich waren wir nervig, weil wir laute Teenager waren, die nach der Schule ihr Taschengeld für Latte Macchiato rausgehauen haben, aber das war eine gute Zeit. Im Lübke gabs damals Bionade, diese Limo aus Berlin, die nicht so richtig süß ist. In Trier hab ich auf einer Hausparty auch zum ersten Mal Club Mate getrunken, hat auch weird geschmeckt. Irgendwie war Berlin immer ein Thema, von da kamen die interessanten Getränke und die coolen Erfahrungen. Ich war auch oft in der Luke, gibts die noch? Bestimmt. Das war witzig, vor allem als wir unter 18 waren. Die haben immer die gleiche Playlist gespielt und gegen 1 Uhr kam dann Reggae, irgendwann kannte ich das auswendig. Und es gab noch den Panic Club, die haben sich nur über Flyer verständigt und man musste wissen, wann der ist. Eine Freundin von damals hat gecheckt, dass wir uns den Eintritt sparen, wenn wir den gleichen Stempel nachkaufen und uns quasi vorstempeln. Das hat sich Jahre später im Berghain wiederholt, wenn ich mit Leuten vor dem Club stand, während die sich mit Wodka den Stempel von einem Handgelenk auf das andere übertragen wollten. Rumhängen, feiern, Schule blau machen und stattdessen Kaffee trinken, das ist, was ich von Trier erinnere.
Wo lebst du nun?
Ich lebe in Berlin. 2009 bin ich von Trier nach Berlin gezogen, weil ich in Berlin studieren wollte. Ich war eigentlich ziemlich durchgehend hier und bin nur zum Studium 2011/12 nach Kyoto gegangen und war gerade den Winter über in Tel-Aviv. Die Stadt hat sich in den letzten 14 Jahren stark verändert. Allein in den letzten Monaten, als ich weg war, hat die Inflation krass reingehauen. Der Unterschied zwischen den teuren Preisen in Tel-Aviv und hier ist gar nicht mehr so groß. Als ich damals von Trier nach Berlin gegangen bin, haben Leute zu mir gesagt: Wow, wirklich Berlin? Pass auf dich auf! Berlin war damals viel rougher. Jetzt ist alles easy und man kann sich ein schönes Leben auf Instagram zusammenkopieren, aber damals gab es einfach weniger Internet und die Informationen über die Stadt kamen durch Erfahrungen, Empfehlungen oder einfach durch das Vorbeilaufen. Meine erste Wohnung war im Schillerkiez, da gabs damals nur Kneipen und Schnaps aber noch keine Cafés. Dass sich das so schnell verändern würde, hab ich nicht kommen sehen.
Deine stärkste Erinnerung aus der Kindheit oder Jugend?
Was mir aus meiner Kindheit und Jugend hängen geblieben ist, ist einfach die Natur um mich herum. Ich vermisse die Möglichkeit, einfach aus dem Haus zu gehen und dann relativ schnell im Wald zu sein, und zwar so richtig im Wald. Wenn ich bei meinen Eltern bin, gehen wir immer im Wald spazieren. Seit der Pandemie stellt sich mir auch immer mehr die Frage, ob die Großstadt so der richtige Ort für mich und meine Arbeit ist. Als Freelancer ist es eigentlich egal, wo ich bin, ich hab auch kaum noch persönliche Kundentermine. Und als Schriftsteller hätte ich einfach gern ein Haus mit Garten, wo der Hund dann rumpetzt und ich nebenbei in mein Notizbuch kritzel oder Kaffee trinke. Ich stell mir das richtig romantisch vor, aber das hat auch seinen Ursprung in meiner Kindheit. Ich hab viel Zeit mit meiner Oma im Garten verbracht. Wir haben Salat gepflanzt, Bohnenstangen gesetzt, es gab Erdbeeren und Schnittlauch. Als Kind bin ich richtig darin aufgegangen, mit ihr im Garten Sachen zu pflanzen. Dabei hab ich mehr über die essbaren Pflanzen gelernt als über Blumen, irgendwie hat mich das als Kind nicht interessiert, aber jetzt wäre ich dankbar, hätte ich ihr damals mehr zugehört.
Wie war es für dich, in Trier zur Schule zu gehen?
Das war aufregend, weil ich jetzt nicht mehr nur manchmal nach Trier abhauen, sondern quasi jeden Tag in die Stadt fahren konnte. Für mich hat das ein Stück Freiheit bedeutet, weg aus der Kleinstadt. Von der Realschule, auf der ich bis zur 10. war, ist eine Freundin mitgekommen, die auch nach Trier ging. Wir sind heute noch befreundet, ein paar Leute sind mir auch aus Trier geblieben. Irgendwie sind wir dann zusammen in Trier gelandet, haben da neue Freundys gefunden. Ich weiß noch, wie ich jeden morgen zum Bus gehechtet bin, der ist schon um 06.30 losgefahren, das hieß ich musste richtig früh aus dem Bett. Ich hätte auch in Hermeskeil aufs Gymnasium gehen können, aber weil ich ein relativ frühes Coming-out hatte, hatte ich Angst davor, weiterhin in Hermeskeil zu bleiben. Die Kids auf dem Hermeskeiler Gymnasium wussten, dass „der Schwule“ kommt und hatten schon Pläne, mich runterzumachen. Krass, oder? Meine Erfahrung war auch, dass ich mich dabei nicht auf das Kollegium verlassen konnte, also wäre ich da einfach ins offene Messer gelaufen.
Trier dagegen hat sich wie ein Neuanfang angefühlt. Ich hatte auch so eine Bockigkeit in mir drin, weil ich dachte, wenn mich schon keiner akzeptiert, so wie ich bin, dann muss sich mir das Leben nicht auch noch selbst schwer machen. Im Nachhinein war das der Trotz eines Überlebenden, weil es war einfach hart, das Gefühl zu haben, dass alle dich eklig oder scheiße finden, nur weil du als schwul markiert bist. Ich glaube als queere Person in den 00er-Jahren aufzuwachsen, war eine komische Zeit. Auf der einen Seite gab es mehr Offenheit, mehr gesellschaftliche Debatte und für mich als Teenie auch mehr Selbstbewusstsein, aber das hat sich einfach mit meiner Umgebung komplett gebissen. Ich dachte, es wird in Trier ein bisschen einfacher, aber da kam mir auch sehr viel Feindlichkeit entgegen. Wie man sich das so vorstellt: Die Machos aus dem Sportleistungskurs haben am meisten die Klappe aufgerissen. Und auch verbale Gewalt hinterlässt krasse Spuren. Bis heute kann ich nicht entspannt nach Trier fahren, weil ich einfach so daran gewöhnt bin, dass es stressig ist. Ich hatte eine Lehrerin auf dem AVG, die war sehr unterstützend und der habe ich viel zu verdanken, aber eine Person kann nicht den Stress einer ganzen Schule ausgleichen. Von daher: Trier war in der Hinsicht nur minimal besser als Hermeskeil.
Warum hast du dich für ein Studium an der Uni Trier entschieden?
Ich hab noch während des Abiturs die Möglichkeit bekommen, über ein Begabtenförderungsprogramm der Uni ein „Frühstudium“ zu machen, das heißt ich war an der Uni eingeschrieben und hab Seminare belegt. Statt nachmittags im Sportkurs Volleyball zu spielen, saß ich dann in Seminaren zu klassischen japanischen Theater oder hab mich mit der Geschichte der Prostitution im japanischen Mittelalter beschäftigt. Viel interessanter, oder? Im Grunde habe ich dann nach dem Abi einfach weiter studiert. Ich war in der Japanologie eingeschrieben und hab dann nach dem Abi Germanistik dazugewählt. Weil ich damals noch im Magister eingeschrieben war, dachte ich, das ist die sinnvollere Ausbildung. Außerdem waren meine ganzen Freundys in Trier, ich hatte gar keinen Grund wegzugehen. Mehr noch: Ich konnte mir das gar nicht vorstellen. Ich hatte ja nicht mal einen Führerschein.
Als freier Autor schreibst du u.a. für die Berliner Zeitung, Glitter und hot topic und hast bereits zwei Romane Fromme Wölfe (2021) und Saturns Sommer (2023) veröffentlicht. Hört sich wahnsinnig spannend an, magst du uns ein bisschen über deine Arbeit erzählen?
Wenn mich Leute fragen, was ich mache, dann sage ich, dass ich schreibe. Aber was heißt das? Frage ich mich selbst auch oft. Für die Berliner Zeitung schreibe ich immer mal wieder Essays über Alltagsthemen, die mit Liebe und Sex zusammenhängen. Ansonsten habe ich in Literaturzeitschriften veröffentlicht, die ich auch empfehlen kann, sowohl die Glitter als auch hot topic machen spannende Arbeit. Das schöne an einem Magazin-Format ist, dass es viele unterschiedliche Texte zu lesen gibt und echt spannende Menschen da ihre Arbeit zeigen. Es gibt viel in Magazinen zu entdecken.
Die Romane sehe ich mehr im Kern meiner Arbeit. Die Lyrik auch, das sind also meine beiden großen Arbeitsbereiche, wobei ich mit dem zweiten Roman ein bisschen mehr Erfahrung gesammelt habe als in der Lyrik vielleicht. Schwer zu sagen. Mein erster Roman ist aus der Beobachtung entstanden, dass da um mich herum was passiert, in den Clubs und mit den Menschen in meiner Umgebung. Ich hab, das klingt so kitschig, einfach Schönheit in der Situation gesehen und wollte das in einem Roman abbilden. Der zweite Roman funktioniert ähnlich, insofern ich wieder auf der Suche nach Schönheit war, aber diesmal ging es mir um einen Sommer (nicht eine Nacht, wie im ersten Roman) und nicht mehr um diese krass extrovertierte Erfahrung im Club, sondern mehr um innere Prozesse und Heilung, sowohl psychisch als auch körperlich. Die beiden Romane sind durch die Figuren teilweise verschränkt, was man nicht wissen muss, um sie zu lesen, aber die beiden in Bezug zueinander setzt.
In der Lyrik geht es mir auch um Beobachtungen und Momente, aber gerade interessiere ich mich auch mehr und mehr für übergreifende Konzepte und Ideen, also weniger Schlaglichter und mehr größere Erzählbögen. Wie kann ich ein Thema über mehrere Gedichte aufteilen, wie kann so was wie queeres spekulatives Schreiben funktionieren? Das sind Fragen, die ich mir stelle und mit denen ich an die Gegenwart gehe. Ich glaube einfach, dass wir unsere Vorstellungskraft weiten müssen. Meine ersten beiden Romane und der erste Lyrikband waren sehr krass in der Gegenwart, gerade interessiere ich mich, wie gesagt, mehr für die Zukunft, aber nicht in 100 Jahren, sondern eher in ein paar Jahren. Ich bin hier aber mitten im Prozess und was ich gelernt habe, ist: Die Annahmen, die ich am Anfang des Prozesses über das Schreiben habe, die finden sich am Ende nur noch in Teilen im Text. Schreiben ist auch viel loslassen.
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