Simi habe ich vor ein paar Jahren in Berlin kennen gelernt. Mein Onkel aus Trier war zu Besuch und hat sie mir vorgestellt. Er kannte sie wohl noch aus den 80er Jahren, damals war sie stadtbekannt. Aber nicht nur in Trier, sondern auch in Berlin ist sie eine Institution – sie war eine der ersten, die Neukölln “hip” machte und prominente Berliner Gäst*innen in ihre eigene Kneipen-Talkshow einlud.
Dann las ich in der Berliner Zeitung, dass Simi Will nach 30 Jahren wohl wieder in ihre alte Heimat zurückgekehrt ist. Grund genug für mich, die quirlige und wahnsinnig sympathische Triererin vor fast genau einem Jahr einmal zu treffen und sie zu ihrer spannenden Zeit in Berlin zu befragen. Außerdem sprechen wir über ihre Rückkehr nach Trier, den Podcast “Dazwischen mit Simi Will”, den wir für sie produziert haben und ihre ewige Suche nach dem Dazwischen in Trier.
Liebe Simi, nach 30 Jahren in Berlin bist du nun wieder in deine alte Heimatstadt zurückgekehrt. Wohin hat es dich verschlagen und in welchem Stadtteil wohnst du?
Ich wohne aktuell in dem, wie sagt man, dem Prenzlauer Berg von Trier. Im Südkiez und ich wohne hier leidenschaftlich gern. Vorher habe ich (also vor 30 Jahren), an zehn oder zwölf verschiedenen Plätzen gewohnt: Dietrichstraße, Bruchhausenstraße, dann nochmal Bruchhausenstraße, Lindenstraße und an diversen anderen Ecken der Moselmetropole. Ich bin damals dauernd umgezogen. Ging ja noch in den 80ern. Die Mieten waren günstig und Wohnungen wie Sand am Meer verfügbar. Und weil es ja Trier war gabs oft voll die nicen Altbauwohnungen.
Und wo bist du aufgewachsen?
Aufgewachsen bin ich an der Mosel, in Rigodulum (wie der Römer sagt) Riol an der Mosel. Da leben meine Eltern noch. Inzwischen hat sich unser Dorf extrem verändert. Damals, als ich mit 17 da weggezogen bin, um dann ein unterdurchschnittliches Abitur am Auguste-Viktoria-Gymnasium zu machen, hatte Riol ungefähr 700 Einwohner. Inzwischen hat sich das Dorf gefühlt verdoppelt. Es gibt mittlerweile ganz viele junge, urbane “Luxemburger Peoples”, die da wohnen. Für meine Oldies ist es, glaube ich, nicht so einfach. Die Alten sind halt nicht mehr so sichtbar, weniger Angebote und kaum mehr ein aktives Dorfleben. Aber an sich ist es natürlich auch hier sehr viel schicker geworden. So mit „Fakeboarden“ am See und all sowas.
Warum hast du Trier damals verlassen? Warum bist du nach Berlin gezogen?
Ich bin geflüchtet, (mit dem Wissen von heute), quasi vor mir selbst. Nach dem Abi, hab’ ich aber erstmal überall in Trier gekellnert: Hotel Rizz, Korrekt, Wellblech, Madison und Krim. Das waren alles richtig coole Läden. Es gab in den Spätachtzigern wirklich eine Megaszene in Trier, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es gab Punks und New Romatics, Popper und auch viele nette Normalos. Ich glaube, dass es auch heute noch Leute hier gibt, die mich von den Tresen dieser Stadt kennen. Die Phase direkt nach dem Abi war wirklich spannend, ich hatte genug Geld zum Verjubeln, und als Barfrau auch meine Bühne: Das Korrekt war damals wirklich der Place To Be und ich hab’ es geliebt! Aber nach einer Weile und jeder Menge Vodka Tonic hatte ich dann das Gefühl “Oh Shit, wie lange werde ich das noch machen?” Ich habe dann für mich festgestellt, dass dieses Dasein als Nachtschattengewächs nicht für den Rest meines Lebens das Richtige sein würde. Dieses Nicht-Teilnehmen am Tage, wenn es hell ist, dass eine das irgendwann richtig depressiv machen würde. Irgendwie war tagsüber dann doch „mehr Licht“, wenn du weißt was ich meine.
Dann bin ich nach New York geflogen, mit einem Schauspieler vom Stadttheater, in den ich natürlich verknallt war. Er hatte zwar eine Freundin – wie das oft so war – mit der er aber nicht verreisen wollte und der sagte eines schönen Tages: “Flieg du doch mit nach New York.” Und dann stand ich irgendwann wenige Wochen später nach aufregenden 10 Tagen im Big Apple auf der Brooklyn Bridge mit Randy Newmans „Short People“ auf den Ohren und war am Heulen. “Ey!” hab ich mir da gesagt, ”wenn ich jetzt zurückfahre, muss ich allen erzählen, dass ich nach Berlin gehe, damit ich den Absprung von Trier schaffen kann“, (von wegen Gesichtsverlust). Ich will dieses Freiheitsding. Ich will dann doch noch „große weite Welt“, ich geh’ nach Berlin. Berlin war damals nicht wirklich hip, aber ausreichend weit weg von Trier, denn es musste weit weg sein, sonst wäre ich sicher jedes Wochenende wieder hierher gekommen in meine geliebte Heimat und hätte mich hinter meinem geliebten Tresen gestellt. Und der Rest ist Geschichte. 30 Jahre später, schwupp, wieder in Trier.
Du warst eine der ersten, die damals Neukölln gentrifiziert und “cool” gemacht hat. Das war bestimmt wahnsinnig spannend! Erzähl uns doch ein bisschen über diese Zeit.
Ja, klingt so, als ob wir da in Neukölln losgezogen sind und wild für fixe Gentrifizierung sorgen wollten. So, jetzt machen wir Neukölln hip. So wars natürlich nicht. Es war einfach so, dass die Mieten extrem billig waren, weil hier absolut niemand hin wollte. In diesem eher asozialen Arbeiterbezirk.
In der Weserstraße hatte mein Freund Peter als Künstler eine loftartige Wohnstätte für ein paar Euro, aber schon mit Heizung! Und darunter gab es nochmal ca 100qm dasselbe in grün. Ich hatte bereits vorher, als ich für kurze Zeit in Friedrichshain wohnte, mit Freunden einen Kulturverein gegründet (so hieß das damals wenn man ohne Konzession spannende Kulturgastronomie machen wollte) und dieser Verein lief dann in der unteren Neuköllner-Loftetage weiter. Wir machten hier dann weiter Parties, Lesungen, Filmabende, Theateraufführungen und Ausstellungen. Ich erinnere mich noch wie glücklich die Vermieterin gewesen ist, dass ihre zwei Hinterhoflofts endlich vermietet waren. Dank unseres Mailverteilers (ca 1000 Leute, sowas war in den frühen Nullerjahren das was heute Instagram heißt) kamen dann peu à peu immer mehr Peoples zu unseren Veranstaltungen. Schließlich musste man wissen wo unsere Location war, 2. Hinterhof im dunklen unbelebten Neukölln, da kam nicht zufällig jemand vorbei.
Die Weserstraße war zu dieser Zeit eine reine Wohnstraße. Dort gab es seinerzeit nichts, außer der Rütli-Schule und drei, vier Altberliner Eckkneipen. Solche Läden wo noch Nikotin-Gardinen im Fenster hängen und jede Menge Spielautomaten vor sich hin lärmen. Ziemlich bald standen diese dann leer. Auf der Straße war abends niemand und wir wohnten in der Weserstraße 183 im zweiten Hinterhof. Und da, wo unsere Veranstaltungen waren, musste man halt wissen, dass da im zweiten Hinterhof irgendein komisches Ding ist, wo Kulturveranstaltungen sind, denn es gab ja keine Laufkundschaft. Ich weiß noch, dass alle gesagt haben “Wo seid ihr? In Neukölln? Krass, wo ist denn die Weserstraße?” Ja, das wusste keiner. Das war 2004. Eines Tages, beim Konzert von Jim Avignon aka Neoangin waren dann so viele Leute da – es war laut und der Hof voller Fahrräder, dass die Nachbarn dann gesagt haben: “Jetzt reicht’s!”. Ja und dann war klar, wir müssen uns jetzt echt umsehen, die schmeißen uns jetzt raus. Dann hat mein Freund Peter eine dieser Kneipe mit der Nikotin-Gardine übernommen und eröffnet. Das „Ä“. Das war dann der „Urknall“. Zur Eröffnung säumten gefühlte Millionen (wie der Trierer sagt) die Weserstraße. Aber mal im Ernst das war unfassbar, was da los war. Und rückblickend würde ich das als den Startschuss für das Erwachen des hippen Neuköllns bezeichnen. Schade , denn ab hier setzte dann in Lichtgeschwindigkeit die Turbogentrifizierung ein. Inzwischen ist die Weserstraße in Neukölln ein Epizentrum für feierwütige Studenten und Touristen geworden. Ein Ballermann! Was das mit den Mietpreisen in der Gegend gemacht hat, ist bekannt. Innerhalb von zwei, drei Jahren gab es plötzlich Touristen, Nippesläden mit irgendwelchen schickeren Berlin Accessoires und Second-Hand Läden, die aufgemacht haben, hießen schon Vintage und waren teuer.
Mit “Simi Will” hattest du später in Berlin dein eigenes TV-Format – ganz ähnlich wie die Sendung Inas Nacht beim NDR – welches monatlich beim Berliner Lokalsender Alex ausgestrahlt wurde. Magst du uns in 3-4 Sätzen kurz davon ein bisschen erzählen?
Drei bis vier Sätze? Du stellst mich da aber vor eine Megaherausforderung. Die Simi Will Show ist entstanden, wie soll es anders sein aus einer Krise. Krisen so kann ich retrospektiv sagen sind der Motor meines Lebens. Ohne Krisen bleibe ich stehen, bewege mich nicht. Und die Krise seinerzeit war, dass ich auf meiner Arbeit als Sozialarbeiterin eine Leiche gefunden hatte und das eine entsprechend große Unsicherheit bei mir ausgelöst hat. Ich musste mich neu sortieren, hinterfragte meinen Lebensentwurf und fing an mir neue Fragen zu stellen. Will ich das was ist so weitermachen, was kommt noch in meinem Leben? War das alles? Und so weiter. Am absoluten Tiefpunkt dieser Krise verbrachte ich einen depressiven Abend im Valentinstueberl (unserer nächsten Kneipe, bzw. Kulturstätte MIT Konzession!!!). Ich saß vor meinem alkoholfreien Weizen und jammerte, dass ich nicht wisse, wo ich hinsoll und dass ich keine Idee hätte, wie ich weitermachen soll. Sofort kam aus allen Ecken: „Simi, Du musst Deine eigene Show machen“, „hier im Valentinstueberl“. „Die Show die Du immer an der Bar abziehst ist so speziell das musst Du machen.” Und: die Idee für Simi Will war geboren. Ich wusste sofort wie alles werden sollte. Promis ohne Ende bei mir an der Bar und ich rede, mache Portraitfilmchen über die „Fames“ vorab und das gucken wir uns zusammen auf Großleinwand an Samstagabenden im Valentinstueberl an. Keine 4 Wochen später hatte ich ein Kamerateam , Jungs die mir die Filmchen schneiden würden und erste Berühmtheiten am Start. Ganze 10 Jahre haben wir das Showprojekt mit dem TV Sender Alex Berlin gemacht. Eine komplette echte TV Show so mit Ü-Wagen, 4 Kameras und allem Drum und Dran. Gesendet wurde live im TV und gestreamt auf Facebook und von unserer Homepage.
So cool, was für tolle Gäste gekommen sind. Kida Ramadan, Meret Becker, Anton Hofreiter, Franziska Giffey, Prof. Susan Neiman, Stipe Erceg, dicht und ergreifend, Labrassbanda, Kevin Kühnert, Anke Stelling, Wladimir Kaminer, Alexander Hacke von den Neubauten, Wolfgang Müller (die tödliche Doris), Cellolitis, Eselsalptraum (Jodeln gegen Rechts) undundundund. Ich bin da schon ziemlich stolz, wie wir das gemacht haben. Wir waren einfach ein einzigartiges Team, meine Mädels und Jungs. Und keiner hat Geld dabei verdient, wir haben das gemacht, weil wir uns alle sehr mochten, weil es uns Spaß gemacht hat und wir haben so viele extrem unterschiedliche Leute zusammengebracht. Ach ja eins noch: das Grundprinzip bei der Show war, dass wir Mainstream und Underground zusammengebracht haben und das ist ja was wir im normalen TV kaum sehen. Da sprechen ja die immer Gleichen über das immer Gleiche auf dieselbe Art und Weise. Wer mehr dazu wissen will kann hier schauen: www.simiwill.de
Soviel zum Thema zwei, drei Sätze…
Du warst in Berlin etabliert und hattest ein gewisses Standing. Warum bist du nach Trier zurückgekommen?
Tja, gute Frage. Verkettung verschiedener Krisenmomente. Zum einen war mein Papa gestürzt und ich bin zur Unterstützung gekommen. Plan war: Ich bleibe zwei Wochen, kümmere mich um Pflegekraft, und alles was gebraucht wird. Rausch dann wieder ab. So war der Plan. Dann bin ich hierher gekommen. Aus den zwei Wochen wurden zwei Monate, weil ich einfach gesehen habe, dass meine Eltern mich jetzt hier brauchen und verrückterweise machte das Zusammensein mit meinen Oldies irgendwie glücklich oder sowas ähnliches. Zudem war gerade die nächste Coronawelle war im Anmarsch und ich hatte ein Angebot, wenn ich aus meinem alten Mietvertrag raus gehe, dass ich ein bisschen Startgeld bekomme. Das war für mich ultra viel Geld. Lächerlich im Grunde. Und dann habe ich hin und her überlegt und mal vorsichtig rumgefragt, nur so prophylaktisch, ob es denn eine Wohnung für mich in Trier geben könnte. Schwupp, gab es die und die war verdammt schön. Dann kam die Option, beim Bürgerservice zu arbeiten, voll die netten Leute da und ja, dann hab’ ich gedacht, diese Krise jetzt bringt mich eben zurück. So war das wohl.
Zudem war ich schon eine ganze Weile am Meckern. Es geht nicht mehr. Kultur machen ohne Geld. Es wird alles schwieriger. In Berlin ist es einfach nur Marktgeschehen. Und diese ganze Innovation und das Dazwischen. Wie ich immer sage: “Ich suche immer das Dazwischen.” war irgendwie weg. Das fühlte sich so an, als ob das am Absterben ist in Berlin. Kann aber auch daran liegen, dass ich einfach jetzt alt bin. Aber nein, Berlin ist jetzt tatsächlich nicht mehr das Berlin des „Dazwischen“, des „kulturellen Abenteuers“, diese Zeiten sind definitiv vorbei und jetzt ist alles Turbomarktwirtschaftlich, wie in anderen Großstädten eben auch.
Wie war es für dich, nach all den Jahren wieder in Trier zu sein?
Ich vermisse das “Dazwischen” aus Berlin. Das „Seltsame“, das was einen irritiert. In Trier gibt es noch wenig von dem „Dazwischen“ für mich. Das fehlt mir sehr und es ist mir alles zu wenig kantig und eckig und schräg hier. Andererseits finde ich es ganz gut hier, zum Beispiel, dass ich ganz schnell Irritation herstellen kann, weil ich schnell sage, was ich denke. Wenn ich merke, dass ich „wieder alle durcheinander gemacht habe“, das funktioniert hier viel leichter und macht mir wirklich Spaß. Aber Berlin ist mein Leben und Berlin ist auch meine gefühlte Heimat, muss ich schon sagen. Nirgendwo hab’ ich mehr Lebenszeit verbracht als hier. Berlin als 2. Homebase soll es auch bleiben. Ich versuche, alle zwei Monate für ein paar Tage hin zu fahren. Hab quasi noch mehrere Koffer und ein eigenes Zimmer in Neukölln.
Hast du persönlich Pläne für dich in Trier?
Ja, ganz klar. Heiraten. Und dann möchte ich noch ein Haustier. Ich möchte nach wie vor berühmt werden. Fame, in welcher Gestalt auch immer. Und ich würde gern wieder irgendwas mit Film machen. Irgendwas mit Film oder Show oder Fame oder rotem Teppich oder „Komisch“. Also selbst was machen. Basteln, gestalten. Ein „Dazwischen für Trier“ machen und ja vielleicht auch „Fame“ in die Moselmetropole holen. Ach, ich weiß nicht, irgendwas wird sicher kommen, eh klar!
Aber das wäre doch jetzt der Zeitpunkt, um vielleicht den Podcast zu benennen, oder?
Ja. Und der erste Schritt in diese Richtung war, als du auf mich zukamst mit deiner Ansage: “Ich habe da ein Interview mit dir in der Berliner Zeitung gelesen. Können wir uns mal treffen? Ich bin jetzt auch aus Berlin wieder zurück in Trier. Ich war zehn Jahre in Berlin und du kennst meinen Onkel?” Und ich wusste nicht, wer dein Onkel ist und war erstmal skeptisch dir gegenüber. Und dann stellte sich heraus, dass dein Onkel „der schöne Atsch“ ist und dann war für mich klar, jetzt muss ich mal gucken, was da los ist? Und gleich bei unserem ersten Treffen hab ich gemerkt, mit der Nichte vom „schönen Atsch“ das passt. Ja, also liebe Beatrice und deswegen habe ich auch Bock auf diesen Podcast bei DearTrier. Ja, definitiv. Eine Fortführung des Simi Will Prinzip irgend sowas wünsch ich mir sehr. Mal schauen, was ich in Trier an Dazwischen entdecken kann. Ich gestehe, ich sollte meiner alten Heimatstadt mehr entgegenkommen. Und sicher gibt es jenseits der Shoppingstraßen auch hier in der Moselmetropole noch so einiges an „Dazwischen“ zu entdecken.
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