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Kolumne

Sta|d|t|t Erwartungen – Kolumne von Jennifer Klinge

Ich bin neu hier. Mit meiner Kolumne, aber auch in der Region. Und ich habe mich in letzter Zeit ziemlich viel mit Erwartungen beschäftigt. Mit eigenen, mit gesellschaftlichen und seit neuestem auch mit den Erwartungen, die an mein neues Zuhause, die Moselregion, gestellt werden. Peeeew, und die sind nicht immer cool.

Ja ist es denn ausschließlich blöd, Erwartungen zu haben? Nope, Erwartungen helfen uns auch irgendwie, Dinge einzuordnen und das brauchen wir oft als Übersicht im Lebenschaos. Aber sie versperren uns manchmal Blickwinkel, treiben uns in die Enge oder setzen uns unter Druck. Erwartungen lassen manchmal Potenziale ungenutzt, provozieren Ängste. Nämlich dann, wenn wir versuchen, permanent Vorstellungen von außen zu erfüllen. Davon können Frauen ein Liedchen singen. Die insgeheime Erwartung der Gesellschaft gleicht der Mustervorlage: Mann, Hochzeit, Kinder, Haus und Karriere bitte vor 40! Damit werde auch ich als kinderlose, selbstständige Frau mit Ende 30 immer wieder konfrontiert, weshalb ich darüber ein Buch geschrieben habe und es mir zur Aufgabe gemacht habe, Frauen darin zu supporten, ihren eigenen Lebensentwurf zu finden. Denn Erwartungen zu brechen kann auch geil sein. 

Jetzt bin ich neu in Trier und mir ist aufgefallen: Diese Region und Frauen haben ein ähnliches Problem: beide werden unterschätzt, beide haben Erwartungen anheften, die einengen.

Total schade, das können wir doch gemeinsam verändern, oder? Also zumindest Trier können wir in Sachen Image etwas auf die Sprünge helfen. Deswegen möchte ich meinen Blick auf die Moselregion als Zugezogene mit euch teilen. Ich schaue mir in nächster Zeit Spots, Möglichkeiten und schöne Orte in Trier und Region an und unterziehe meine Erwartungshaltung einem Realitätscheck in dieser Kolumne. 

Wie, wo, was, warum schreibst du hier? Meine persönliche Erwartungsreise 

Spoiler vorweg: 18 Jahre Großstadt und jetzt wohne ich zwischen Weinbergen in einer Sonntagsfilm-Kulisse. Oder anders gesagt: Kannste dir nicht ausdenken, das Leben schreibt manchmal die unvorhersehbarsten Stories. 

To be honest: Ich selbst dachte, hm ja, hier ist’s mir zu klein. Nie hätte mein Vergangenheits-Ich gedacht, dass ich irgendwann mal in einem kleinen Dorf an der Mosel wohnen werde. Geboren und aufgewachsen im Raum Koblenz waren dann in den letzten Jahren ausschließlich große Städte mein Zuhause.

Mein Plan war, dass das auch so bleiben sollte. Erstmal. Denn, wer mich schon länger kennt und mein Buch gelesen hat weiß, ich habe bereits Erwartungen daran, wie mein Leben über 30 nach Das-macht-man-so-Vorstellungen mit genormten Meilensteinen verlaufen sollte, losgelassen. Und dass das gar nicht schlimm ist, mehr noch – vielleicht sogar viel mehr meinen inneren Wünschen entspricht, das musste ich erst lernen. Denn es gibt verschiedene Lebensentwürfe. Meiner war dann klischeehaft der, der Großstadt-Autorin, die unbedingt trendige Concept-Stores und Matcha-Latte-Cafés ums Eck im täglichen Leben braucht und sich im Getümmel der Stadt lebendig fühlt, mit Coworking-Space, FreundInnen immer in der Nähe und Tierschutz-Hund.

Soweit, so fein. Jetzt gab es aber in den letzten zwei Jahren wieder einen Plot-Twist: 

  1. Ich habe gespürt, dass meine mentale Gesundheit gerade nicht so cool mit Großstadt zusammengeht. -.-
  2. Mein Liebesleben hatte andere Pläne als ich: Ich habe jemanden getroffen, es wurde ernst und ich bin nun mit einem Mann zusammen, der Förster in einem Moselörtchen ist. Ok. Klingt erstmal nach einem soliden ZDF-Zweiteiler, in dem die gestresste Großstädterin in der Natur ihr Seelenheil und romantische Vibes findet, ich weiß. Und es ist auch bisschen so. Aber schwupps, plötzlich bin ich wieder mit Erwartungen konfrontiert, wieder mit einem Loslassen von Vorstellungen. Und vor allem mit der Aufforderung, einfach mal offen zu bleiben für was ganz Unbekanntes. Auf diesem Weg bin ich gerade. Da ich freiberuflich meist ortsunabhängig arbeiten kann, bin ich zu ihm gezogen: Altes Pfarrhaus mit 2000 qm Garten, Hühnern und Hunden und der Lust, alle Vorurteile und Erwartungen mal über Bord zu schmeißen und ein neues Kapitel zu starten. Ein Kapitel, was vielleicht von allem etwas hat, statt starr in klar definierten Vorstellungen stattzufinden. 

Dafür scheint mir Trier einfach ein so passender Ort. Oft als unscheinbar verkannt, hat die älteste Stadt Deutschlands echt mehr zu bieten als den Heiligen Rock. 

Ready für den Beweis? Dann stay tuned für die nächste Kolumne, in der ich mit euch meine ersten Eindrücke von Trier teile. Dann heißt es: 

Lass mal die Erwartung checken!

Und Apropos, da mich vor allem oftmals die Erwartungen aufregen, die die Gesellschaft an uns Frauen stellt und damit nicht selten Angst verbreitet, gibt es in jeder Kolumne auch noch ein kleines Goodie für euch: 

AUCH GUT!! Ein Gedankenschnipsel to go: 

Frauen, die Zeit läuft euch davon!

Aber mal sowas von NEIN! Die Drohung der abgefahrenen Züge – vor allem Frauen gegenüber kommt diese oft aufs Tablett. Das Älterwerden und die ausgehenden Chancen: im Leben, in der Liebe. Diese Erzählung macht Schiss und Stress. Sie lässt Frauen vermeintlich gegen die Zeit rennen. 

Aber statt zu rennen, bis wir klatschnass geschwitzt sind, um dann verärgert den Rücklichtern nachzuschauen, sollten wir uns bewusst machen: Es kommen meist auch wieder Züge nach. Oder es gibt Schienenersatzverkehr. Oder wir realisieren plötzlich, wir wollen ohnehin woanders hin. Deshalb: Öffnet die  eigenen Zeitfenster sperrangelweit und lasst die frische Luft aus Möglichkeiten rein – egal, in welchem Alter! Und ganz wichtig: Lasst uns gemeinsam neue Erzählungen schaffen und etwas an den Vorstellungen verändern. Denn wir haben genug Probleme auf Gottes grüner Erde. Älterwerden sollte keines davon sein.

Mehr davon, wie wir ein Leben nach eigenem Timing leben können,  findest du in meinem Buch AUCH GUT!

Über die Autorin
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Jennifer Klinge

Jennifer Klinge ist Autorin, Kommunikationsexpertin und Digitalstrategin. Bei ihr dreht sich alles um Geschichten, die sie entwickelt, erzählt oder anderen hilft, ihre zu erzählen. 

Frisch angekommen an der Mosel, beschäftigt sie sich intensiv mit Erwartungen: ihren eigenen, den gesellschaftlichen und jenen, die ihr neues Zuhause an sie stellt. In ihrer Kolumne erforscht sie die Schnittstellen zwischen dem, was wir erhoffen, und dem, was wir letztlich finden.

Erfahre mehr über die Autorin auf www.jenniferklinge.de

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